Fragged Empire – Schnellstartregeln in kompliziert
2016 war das Jahr des Rollenspiel-Crowdfundings an allen Ecken und Kanten. Fanden diese nun auf offiziellen Plattformen statt oder über verlagseigene Angebote. Wer wollte konnte sein Geld auf alles mögliche werfen. Unter anderem auch auf Fragged Empire, das von Ulisses publiziert wird.
Um das Spiel kennenzulernen, bieten sich hier die Schnellstartregeln an. Die sind ganze 52 Seiten groß. Davon 29 Seiten Regelmaterial. Echt jetzt? Unter „Schnell“ verstehen die meisten Leute etwas anderes – nämlich das es schnell losgeht. Das ist hier leider nicht der Fall und der Begriff „Schnellstartregeln“ eher als Köder oder Ahnungslosigkeit zu verstehen. Das ist aber kein Alleinstellungsmerkmal von Fragged Empire. Andere Rollenspiele drücken ihren Kennenlern- oder Schnupperregeln ebenfalls diesen Stempel auf. Bei Fragged Empire bekommt die ganze Sache aber einen unangenehmen Beigeschmack.
Erst einmal sieht das Heft schick und aufgeräumt aus. Die Illustrationen können sich weitgehend sehen lassen. Anfangs gibt es auch einen Anreißertext, der zwar nett ist, aber nur unverbindliches Blabla enthält. Er soll wohl neugierig auf das Setting machen und spricht deswegen wichtige Punkte nur kurz an. Okay, das kann klappen – gäbe es denn Hintergrundtexte in den Schnellstartregeln. Die sind einfach nicht vorhanden. Hier und da blitzt mal etwas in einem Nebensatz auf, aber das war es auch schon. Selbst bei der Hintergrundbeschreibung zu den vorgefertigten Charakteren, gibt es nur wenig zu finden. Bei zwei von ihnen ist noch nicht einmal sofort zu erkennen, was für eine Rasse sie sind. Überhaupt, Rassen werden hier durch Fraktionszugehörigkeit definiert. So gibt es unter anderem Corporation und Legion. Das ist, na ja, wenigstens mal ein kreativer Ansatz.
Okay, das Ding nennt sich Schnellstartregeln. Offensichtlich wollen die Autoren den potenziellen Spielern nicht die Spielwelt, sondern nur die Spielregeln näherbringen. Oder sie haben einfach kein Konzept, wie sie ihr Spiel umsetzen möchten. Dafür spricht dann in den Schnellstartregeln einiges. Jedenfalls ist die fehlende Hintergrundbeschreibung ein Problem für das enthaltene Abenteuer „Das Geisterschiff Karthago“. Neugierige Fragen der Spieler können vom Spielleiter nicht ohne vorangegangene Recherche beantwortet werden.
Das ist sehr gut im Let’s Play zu sehen, das von Ulisses auf You Tube hochgeladen wurde: Kaum wollten die Spieler wissen wie ein Archont aussieht, musste der Spielleiter zum Grundregelwerk greifen. Dort gibt es wenigstens ein Bildchen. Ohne Spielleiter mit Vorwissen und echtem Regelwerk, gestaltet sich das Leiten jedenfalls nervig bis lächerlich, sobald Spieler etwas zum Hintergrund nachfrage. Man könnte sich hier natürlich nur auf die Regeln konzentrieren und einfach den ganzen Fluff weglassen, aber das Spiel kommt ja mit narrativen Momenten daher und bestraft unter anderem mangelnde Beschreibung mit einem harten Abzug auf die Proben.
Dabei machen die Regeln erst einmal einen recht guten Eindruck. Mit 3W6 + Fertigkeit muss ein bestimmter Zielwert erreicht werden (12 für mittelschwere Aufgaben). Jede 6 in dem Wurf ist ein starker Treffer und kann besondere Aktionen erlauben. Das ist vor allem im Kampf wichtig und dort eine der Säulen des Spiels. Im normalen Betrieb wird diese Mechanik aber leider weitgehend vernachlässigt. Das liegt unter anderem daran, dass sich Fragged Empire auf den Kampf orientiert und wie ein komplexes Tabletop aufgebaut ist – oder simulativ, wie man es auch bezeichnen möchte.
Jedenfalls gibt es bei den Proben ein narratives Moment. Wird der Einsatz von Fertigkeiten schlecht beschrieben, erleidet der Wurf einen Malus von −2. Wird der Einsatz gut beschrieben, dann ist es ein Bonus von bis zu +2. Eine Aktion wie „Ich ziehe mein altes Schwert und stürme auf den Geschützturm zu“ gibt einen Abzug von −2. Das ganze aufgebläht zu „Ich drücke mich mit dem Rücken gegen die Wand, um dort Deckung zu suchen und ziehe mein Schwert. Sobald der Geschützturm einen meiner Verbündeten auf der anderen Seite des Raums unter Feuer nimmt stürme ich los, mit der Absicht ihn von unten zu erwischen, außerhalb seiner Feuerlinie“ gibt dagegen +1. Das sind übrigens Beispiele, die der Autor auf Reddit gegeben hat.
Den Quatsch muss man erst einmal sacken lassen. Zurückhaltende Spieler bekommen also ständig Nachteile, während Labertaschen das Spiel regelunterstützt ausbremsen können – denn wer möchte nicht den vollen +2-Bonus? Eben!
Bis auf diese Mechanik macht das System erst einmal Laune. Diese wird einem aber durch die Kampfregeln so richtig verhagelt. Diese sind dermaßen kompliziert und verkopft geschrieben, da wird einem Übel. Alles mögliche wird als Angriff definiert, selbst das Suchen nach einer Schwachstelle beim Gegner. Es gibt zwar etliche Tabellen, Diagramme und Kurzübersichten, aber richtig hilfreich sind die nicht. Man muss das schon mögen und sich richtig einlesen, sonst wird das nichts. Deswegen schätze ich Fragged Empire in Bezug auf die Kampfregeln als schlecht geschrieben und umgesetzt ein.
Wie alles im Spiel kommt der Eindruck auf, dass alle möglichen schönen Dinge aus anderen Spielen in einen Topf geworfen wurden, allerdings ohne ein Rezept zu haben. So scheint der Mechanismus der Ausdauer aus Deckungsshootern zu stammen. Erst wenn die Ausdauer runtergehauen ist, kommt es zu kritischen Treffern, also Schaden an den Attributen. Ist der Schaden zu hoch, ist der Charakter tot. Ausdauer kann aber mittels einer Aktion wieder langsam hochgezogen werden. Dadurch werden vor allem stationäre Gegner wie Gefechtstürme lachhaft. Es gibt deswegen wiederum die Möglichkeit gezielt kritische Treffer zu landen, um die Ausdauer zu umgehen.
Das Dilemma bei detaillierten Kampfregeln und dem Einsatz von Miniaturen auf einem Bodenplan: Strategiespieler sind Rollenspielern gegenüber stets im Vorteil. Der worst case für eine Spielgruppe ist ein Spielleiter, der im Bereich Tabletop ziemlich erfahren ist. Gegen den ist dann kaum anzukommen. Für den Spielleiter ist der worst case, wenn ein Spieler nicht nur Taktik kann, sondern zusätzlich noch Spaß an langen und ausschweifenden Beschreibungen hat. Dann können alle anderen wegen diesem Spotlightmagneten einpacken. Allerdings bietet Fragged Empire die Möglichkeit des narrativen Kampfs. Von dem ist jedoch abzuraten. Charaktere bekommen hier eher eins auf den Deckel und je größer die Spielgruppe, um so mehr Erfolge braucht sie und wird somit abgestraft.
Auf den ersten Blick sehen die Schnellstartregeln jedenfalls gut aus, aber im Detail hagelt es Minuspunkte. Die Regeln sind trocken und im Kampfbereich unnötig komplex, Charaktere definieren sich vor allem über Ausrüstung (da diese schöne Sondereffekte für starke Treffer bietet), die Übersetzung ist schlecht, ein Lektorat kaum zu erkennen und ein Korrektorat wurde sich offensichtlich gespart. Im PDF gibt es keine Lesezeichen, um damit wenigstens schneller zu den gesuchten Stellen zu gelangen. Kein gutes Aushängeschild fürs Spiel. Dazu die fehlenden Hintergrundbeschreibungen; Platz für ein paar Sätze wäre vorhanden gewesen. Und die Schrift etwas größer zu stellen und für etwas mehr Kontrast in den Übersichtstabellen zu sorgen, wäre auch schön gewesen.
Trotz allem hat uns das nicht abgehalten, die Regeln und das Abenteuer „Das Geisterschiff Karthago“ zu testen. Vorweg, das Abenteuer ist überraschend gut, was anhand der Aufmachung nicht gerade absehbar war. Die ist in ihrer Reihenfolge bereits schrecklich. Denn zuerst kommt der Hintergrund des Abenteuers, dann die Handouts, dann die vorgefertigten Charaktere und erst dann der Warnhinweis „Ab hier nur für den Spielleiter“. Wer hat sich das denn ausgedacht?
Die vorgefertigten Charaktere haben ebenfalls Vor- und Nachteile. Zwar hat jeder eine schicke Illustration, aber Beytha wird nicht cool, sondern angeschossen und schwer verletzt dargestellt, in ihrem eigenen Blute sitzend und wahrscheinlich bald mausetot. Hä? War die unbeliebt oder was? Die Hintergrundgeschichten und Verbindungen der einzelnen Figuren sind richtig schön. Leider gibt es wenig Informationen zur Spezies (entweder man erkennt das Logo auf der Illu oder sucht im Text, was bei zwei Charakteren nicht funktioniert, da keine Angabe).
Das Abenteuer selbst hat großen Spaß gemacht, allerdings habe ich einige Ungereimtheiten und Willkürstellen einfach angepasst oder ignoriert. Das beginnt bereits damit, dass der zeitliche Ablauf nicht ganz offensichtlich ist. Dem Abenteuertext nach wurde die KARTHAGO vor über einhundert Jahren von den eigenen Leuten geentert und verschwand dann im tiefen Raum. Warum das Enterkommando? Und auch die an Bord befindlichen Toten sind mal mehr und mal weniger frisch. Im Let’s Play von Ulisses wurde es wohl so gehandhabt, dass das Enterkommando erst vor kurzem an Bord der KARTHAGO kam. Verwirrend, da außerdem etliche Hintergrundinformationen fehlen. Das macht es etwas schwerer die Ereignisse einzuordnen. Schlussendlich bin ich dazu übergegangen, dass die Legion das Lazarettschiff (laut Abenteuer ist es eine Sanitätsfregatte, aber das klingt nach Abwasserschiff) damals enterte, um die Kontrolle wiederzuerlangen. Das fühlt sich dann mehr nach Science-Fiction-Horror und „Alien“ an. Dieses leicht gruselige Gefühl kommt im Abenteuer auch sehr schön rüber.
Was ebenfalls auffällt, sind die Bodenpläne. Der Illustration und Beschreibung nach, ist die KARTHAGO ein größeres Schiff. Dem Bodenplan nach scheint sie aber eher eine etwas aufgeblähte Arztpraxis. Da es sich im Kern nur um einen Dungeon im Weltraum handelt, fallen auch die fehlenden privaten Einrichtungen nicht besonders auf, die ein Schiff dieser Größe und mit solch einer Mission haben sollte. Hinzu kommt, dass es kein Bodenraster gibt und bei einer genauen Betrachtung der Maßstab im Allgemeinen hakt. Egal. Zum Spielen habe ich die Karten aus dem Abenteuer genommen; für den späteren Kampf gegen den Geschützturm dann etwas eigenes erstellt.
Bei meiner Karte kann sich die Spielgruppe aussuchen, ob ein Kästchen 1 oder 2 Meter Kantenlänge hat. Außerdem habe ich die kleinen, beweglichen Gegenstände wie Stühle und Betten weggelassen. Auf die Bewegung haben sie keinen echten Effekt. Wer möchte zieht einfach eigene Tokens dorthin oder zeichnet was ein.
Ansonsten ist der Aufbau der KARTHAGO schon unterhaltsam, vor allem die kleinen Spielereien haben großen Spaß gemacht. Die Idee mit den Hologrammen hat mir besonders gut gefallen. Witzigerweise kam es in unserer Testrunde zu keinem Kampf und die Ebene 2 des Schiffs wurde zwar durch die Kameras beobachtet, aber niemand ging dorthin. Meine Spielgruppe entdeckte nämlich ziemlich frühzeitig den Weg auf die Brücke und machte Solaris auf sich aufmerksam. Den Kampf mit dem Geschütz am Anfang, habe ich zudem nicht automatisch beginnen lassen. Das passt vom Winkel her überhaupt nicht, wie auch am Bodenplan im Abenteuer zu erkennen ist. Der Geschützturm wurde also frühzeitig entdeckt, ausgetrickst und dann sogar auf die eigene Seite gezogen. Das war spannend und cool.
Den Kampf selber haben wir dann an einem anderen Tag im Arenamodus nachgeholt, um die Kampfregeln zu testen. Diese sind meiner Ansicht nach sehr schlecht geschrieben und machen keinen großen Spaß. Ich mag an sich komplexe Systeme und auch Systeme, die auf Tabletops basieren. Aber Fragged Empire hat zwar einige gelungene Haken, kann mich aber nicht an Land ziehen. Zumal ich die narrativen Elemente (beschreiben auf Teufel komm raus und der erzählerische Kampf) für aufgesetzt halte und als sehr störend empfinde. Über das Setting selbst kann ich nur wenig sagen, da gibt es in den Schnellstartregeln viel zu wenig Informationen drüber. Von den Regeln her würde ich jedenfalls zu einem anderen System tendieren. Das Abenteuer hat mir dagegen sehr gut gefallen.