Berge des Wahnsinns 1 – Aufbruch in die Antarktis
Fünf Jahre hat es gedauert, um die als episch geltende Kampagne „Berge des Wahnsinns“ ins Deutsche zu Übertragen. Schlussendlich sind es drei Bände geworden, um das gesamte Material zu erfassen. Zudem ist es keine reine Übersetzung, denn Charles Engan, der Autor des Originals, schrieb die Kampagne kurzerhand neu und fügte auch einhundert weitere Seiten hinzu. Initiiert durch den damaligen deutschen Chefredakteur der deutschen Cthulu-Redaktion bei Pegasus – Frank Heller – erschuf Mister Engang also sein „Beyond the Mountain of Madness“ regelrecht neu und in Zusammenarbeit mit dem Friedberger Verlag konnte dieses Mammutprojekt der deutschen Rollenspielszene verwirklicht werden. Dafür Standing Ovation! Für den Mut, für die Ausdauer und für die Verwirklichung. Doch was steckt hinter „Berge des Wahnsinns“ und ist die Kampagne wirklich so gut, wie alle behaupten? Schauen wir uns die Sache mal genauer an.
Erst einmal ist der Begriff Kampagne zu hoch gegriffen. Es handelt sich um ein – ziemlich – großes Abenteuer, das vor allem mit seiner Detailverliebtheit überzeugt. Auch der Begriff „episch“ muss etwas abgemildert werden, denn episch ist in erster Linie vor allem der Umfang des Materials und die Länge des Abenteuers zu nennen.
Das Abenteuer basiert nun auf einer Horrorgeschichte von H. P. Lovecraft, die 1936 im Astounding-Magazin erstmals veröffentlicht wurde. Diese Erstveröffentlichung erfolgte in drei Ausgaben des Magazins (Februar, März und April) und somit ist auch die dreigeteilte Veröffentlichung des Abenteuers ziemlich passend.
In Lovecrafts Geschichte geht es nun um eine Expedition in die Antarktis und die Funde, die dort gemacht wurden. Wie es sich bei einer Horrorgeschichte gehört, endet die Sache ziemlich tödlich. Nur zwei Expeditionsteilnehmer überleben und kehren nach Hause zurück: Dyer und Danforth. „Berge des Wahnsinns“ setzt einige Jahre nach dieser Expedition an und verknüpft sich eng mit der Geschichte von H. P. Lovecraft.
Die Spieler schlüpfen nämlich in die Rollen von Mitgliedern einer neuen Expedition, die 1933 von William Starkweather und Professor Moore geleitet wird. Die Starkweather-Moore-Expedition ist also eine der Expeditionen, die Dyer mit seinem Bericht (eben jener Horrorgeschichte) von ihrem Vorhaben abbringen will. Natürlich misslingt Dyers Vorhaben und die Geschichte nimmt ihren Lauf.
Der erste Band der Kampagne – „Aufbruch in die Antarktis“ beschäftigt sich mit dem Anwerben der Expeditionsteilnehmer, ihre Ankunft im New York der früheren Dreißiger Jahre des letzten Jahrtausends, dem Beladen des Expeditionsschiffes, schlussendlich der Abfahrt, die Durchquerung des Pazifiks und – natürlich – auch dem Erreichen des ersten Etappenziels: Der Aufbau des Basislagers in der Antarktis. Das klingt alles erst einmal nach ziemlich wenig übernatürlichem Horror und dem ist auch so.
„Aufbruch in die Antarktis“ hat erst einmal die weltlichen Dinge und Probleme zum Thema. Um so größer der Kontrast zum späteren Verlauf der Kampagne, die Konfrontation mit dem Horror und die Begegnung mit dem Cthulu-Mythos Lovecrafts. Das klingt unheimlich spannend und kann es auch sein – die richtige Gruppe oder die richtige Nachbearbeitung des Abenteuers vorausgesetzt.
Die von Charles Engan geschriebene Geschichte ist richtig schick und spannend, ist aber kein Abenteuer, in dem sich die Spieler vollkommen frei bewegen können. Es gibt einen regelrechten Fahrplan, der möglichst genau zu befolgen ist – so der Wille der Autorenschaft. Innerhalb der Rollenspielszene wird das gerne „Railroading“ genannt. Und dieses Railroading kommt hier massiv vor, ist gar Voraussetzung, um das Abenteuer überhaupt spielen zu können. Das kann, mit den richtigen Leuten und einer entsprechenden Einstellung, auch Spaß machen.
Die Handlung des Abenteuers folgt also einem vorgegebenem Verlauf. Zwar wurden drei optionale Szenarien eingebaut (Begegnung mit Acacia Lexington, Tod eines Seemanns und Entdeckung der Wallaroo), trotzdem gibt es einen strikten Verlauf. Für den Spielleiter ist das ganz vergnüglich, liest sich das Buch doch abwechslungsreich und bietet eine spannende Lektüre mit unterschiedlichen Stilmitteln. Da gibt es typische Abenteuerinformationen, Exkurse über das Jahr 1933, romanartige Vorlesetexte und gar ganze Dialoge, wie sie vom Theater bekannt sind. Es gibt ausgefeilte Terminpläne, manchmal sogar mit Uhrzeiten. Alle vorkommenden Personen sind ausgearbeitet und besitzen einen Hintergrund. Der umfasst bei den Hauptpersonen Starkweather und Moore sogar mehrere Seiten. Doch so richtig spieltauglich ist das alles keinesfalls.
Die Flut an Informationen überschwemmt die Spielerschaft regelrecht. Was sich im stillen Kämmerchen vergnüglich liest, erweist sich am Spieltisch als unhandliches Gesamtpaket. So verlieren sich wichtige Informationen gerne mal im Fließtext oder werden gar nur in der tabellarischen Zusammenfassung der einzelnen Kapitel erwähnt. Engan und seine Leute haben sich – offensichtlich – selbst in den Informationen verloren. Die Hintergründe von Starkweather und Moore sind dermaßen detailliert, dass die Figuren zu vielschichtig werden. Was sich leicht liest, ist vom Spielleiter später nur schwer darzustellen. Zudem belaufen sich die Aktionen der Spieler nur auf wenige Möglichkeiten. „Aufbruch in die Antarktis“ ähnelt weitgehend einem spielbaren Roman.
Die Willkür und Gängelung durch das Abenteuer muss die Spielerschaft ertragen können, dann bietet sich der Gruppe ein unterhaltsames Abenteuer, dass den Einstieg in eine längere Geschichte bietet. Alternativ bietet sich natürlich auch an, „Aufbruch in die Antarktis“ mit Systemen wie „Trail of Cthulhu“ oder auch „Realms of Cthulhu“ zu spielen, anstatt mit „Call of Cthulhu“. ToC und RoC setzen andere Schwerpunkte und fordern die Spieler mehr als es CoC macht. Wer sich mit dem Abenteuer umfassend auseinandersetzt gewinnt schlussendlich ein Destillat, das, zum Beispiel, mit RoC problemlos spielbar ist.
Das Haussystem für „Aufbruch in die Antarktis“ ist natürlich CoC. Darauf ist alles ausgelegt, dafür sind alle Spielwerte und Sonderregeln vorhanden. So gibt es neben dem eigentlichen Abenteuer einen richtigen Leitfaden, in dem auf die Besonderheiten einer Antarktis-Expedition eingegangen wird. Dieser Abschnitt ist ziemlich umfassend und sollte weitgehend auch den Spielern zur Verfügung gestellt werden, da sich deren Charaktere ja mit der Expedition vertraut machen. Um eine Fotokopierorgie zu vermeiden wäre es sicherlich hilfreicher gewesen, „Aufbruch in die Antarktis“ zu teilen – in ein Spielleiter- und ein Spielerheft.
Allgemein muss der Spielleiter viel Arbeit in das Abenteuer stecken und sich im Vorfeld viel Zeit für die Handouts nehmen. Die sind ziemlich umfassend. Zwar gab es ein limitiertes Expeditionspack zum Abenteuer und kann einiges an Material auf der Seite des Verlags heruntergeladen werden, aber schlussendlich ist es einfach verdammt viel Zeug, dass zur Unterstützung des Abenteuers vorgelegt werden kann. Fast schon ein wenig zu viel. Kombiniert mit Material aus der Fangemeinde (eine Suche in entsprechenden Foren bringt viel Hilfe und Material zutage) einfach zu viel.
Schlussendlich wird „Aufbruch in die Antarktis“ auch viel Spielzeit kosten. Das liegt aber mehr in der Materialschlacht und den detaillierten Ausarbeitungen der einzelnen Spielszenen, als an den reinen Spielaktionen. Stellenweise kann das Abenteuer zu einer Lesung verkommen. Zwar könnte der Spielleiter viel weglassen, aber wenn das die einzige Option zur Beschleunigung der Handlung ist, dann läuft etwas falsch.
Die Aufmachung des Buchs ist auf den ersten Blick sehr schick, aber wie das Abenteuer selbst, versteckt sich der Teufel im Detail. Das Hardcover kommt mit einer sehr schönen Illustration daher, die sofort für Stimmung sorgt. Das Buch ist stabil verarbeitet und hat ein Lesebändchen, was sehr hilfreich ist. Trotzdem sollten weitere Lesezeichen bereitgehalten werden. Besonders schick sind die acht Farbtafeln mit passenden Motiven. Marc Simonetti hat die Illustrationen erstellt und dabei ein sicheres Händchen bewiesen.
Ansonsten ist das Buch, bis auf die vierfarbige, doppelseitige Karte der Antarktis, grau gedruckt. Das ganze Buch ist grau in grau und wirkt dadurch ziemlich blass. Überall gibt es Texttafeln, Tabellen, Karten, Passfotos, Zeitleisten, Informationskästen und vieles mehr. Das Layout ist einfach toll. Es lockert das Buch unheimlich auf, zudem sind die Texte auch ansprechend geschrieben und halten die Neugierde des Leser aufrecht. Beim reinen Spielleiten treten allerdings auch die Nachteile auf. Denn, wie bereits erwähnt, gehen viele wichtige Informationen einfach in der Flut an unwichtigen Sachen unter. Diese Masse an Text zu lesen macht Spaß, aber daraus ein Abenteuer zu stricken und zu leiten kostet viel Vorbereitungszeit – möglichst mit einem Textmarker und sicherer Hand beim Einsatz des Rotstiftes..
Für diese Masse an Text hält sich die Fehlerdichte ziemlich in Grenzen. Auffällig ist hier vor allem, dass Moore manchmal als Doktor, dann wieder als Professor tituliert wird. Ein schlimmer Schnitzer ist natürlich die Höhenangabe auf Seite 54, die mit 15 Metern angegeben wird. Wahrscheinlich wurde bei der Übersetzung einfach vergessen Fuß in Meter umzurechnen, so dass die Sprunghöhe eher bei 4,5 Metern liegt.
Als Leseerlebnis ist „Aufbruch in die Antarktis“ einfach herrlich, als Arbeitsbuch müssen starke Abstriche gemacht werden. Zumal die schwarze Schrift auf grauem Grund anstrengend zu lesen ist. Bei gedimmtem Licht wird das Lesevergnügen leider gar zur Qual. „Aufbruch in die Antarktis“ ist kein Abenteuerband, der leicht von der Hand zu spielen ist, aber das hat ja auch niemand behauptet. Es kostet Zeit, um „Berge des Wahnsinns“ zu leiten und zu spielen.
Größter Pluspunkt ist natürlich der hohe Detailgrad des Abenteuers und die umfassende, gar liebevolle Recherche zum Thema. Spielgruppen können in das Abenteuer regelrecht eintauchen, sich darin verlieren. Selbst Dinge die auf den ersten Blick merkwürdig wirken, haben einen realen Hintergrund oder waren in der damaligen Zeit tatsächlich so. Dadurch wirkt „Aufbruch in die Antarktis“ so authentisch und legt den Grundstein für „Berge des Wahnsinns“.
Zentraler Dreh- und Angelpunkt ist übrigens das Expeditionsschiff Gabrielle, das regelrecht zur zweiten Heimat der Expeditionsmitglieder wird. Trotz der umfassenden Karten ist der Aufbau des Stückgutfrachters manchmal doch etwas verwirrend, vor allem in der Sequenz auf Seite 128 und 129. An dieser Stelle deswegen vielen Dank an die ThyssenKrupp MarineSystems AG – vor allem an Frau Britta Reinecke und an den Archivar – für die Hilfe.
„(…) ist es grundsätzlich so, dass die Laderäume nur von oben, also vom Wetterdeck aus erreichbar sind – heute wie in der Vergangenheit. Jeweils an der Vorder- und Hinterkante gibt es wasserdicht zu verriegelnde Zugangsluken. Zwischen den Laderäumen gibt es wasserdichte Schotten, die einen Wassereinbruch auf eine Abteilung des Schiffes begrenzen. (…)“
Quelle: ThyssenKrupp MarineSystems AG
Abschließend bleibt eigentlich nur zu sagen, dass „Aufbruch in die Antarktis“ der abwechslungsreiche Auftakt zu „Berge des Wahnsinns“ ist. Pegasus hat hier gute Arbeit geleistet, vor allem der Übersetzer Robert Maier. Die Kampagne ist eindeutig ein Schwergewicht, wenn auch künstlich geschaffen und mit einigem an unnötigem Ballast. Das gilt vor allem für „Aufbruch in die Antarktis“, denn hier wird das Basiswissen vermittelt. Das Abenteuer ist – unter Vorbehalt – eine klare Empfehlung. Unter Vorbehalt deswegen, weil es sehr zeitintensiv ist und eine bestimmten Spielstil einfach forciert. Aber selbst ohne Absicht das Abenteuer zu spielen, bleibt es immerhin eine unterhaltsame Lektüre und eine Schatzkiste an Ideen.
Copyright © 2011 by Günther Lietz
Charles und Janyce Engan
Aufbruch in die Antarktis
Berge des Wahnsinns 1
Kampagnenband für das Cthulhu-Rollenspiel
Pegasus Spiele Hardcover (2010)
284 Seiten, ISBN 978-3-939794-84-4
Auoren: Charles und Janyce Engan unter Mitwirkung von Michael Blum, John Goodrich, Phil Anderson, Marion Anderson, Mike Lay, Rob Montanaro, Ferderic Moll, Mike Hodge, Steve Hill, Sophia Caramagno, Daniel Rohrer, Reginald Winston
Übersetzung: Robert Maier
Illustrationen und Karten: Chris Schlicht
Handoutgestaltung: Melanie Hamann mit Marc Meiburg, Christina Wessel-Heller
Farbtafeln und Cover: Marc Simonetti
Umschlaggestaltung: Hans Schneider
Charakterbogengestaltung: Yörn Buttelmann
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